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03.09.2008

Ausstellung in Grimme

In Indien dürfen Männer weinen

Von Monika Strehlow

Grimme. Wenn Tränen so stetig fließen, wie sie Gunter Schöne auf dem Kunsthof „Barna von Sartory“ in Grimme bei Brüssow platziert hat, dann ist der Bann meistens schon gebrochen. In weichen Linien und Bogen hängen Marmorsteine, kaum handtellergroß und in weißes Papier gehüllt, im Raum. „Der Stein ist schwer wie die Seele, die Hülle wie das Skelett. Wenn der Stein fällt, ist die Seele erleichtert“, sagt der Bildhauer.

Doch was bis dahin in den Seelen der Männern vor sich geht, dafür hat sich bisher kaum einer öffentlich interessiert. Schöne geht mit seiner Installation einem Phänomen der abendländischen Kultur nach: Das tief in den Verhaltensmustern verankerte Rollenspiel verbietet es Männern zu weinen. Als Kind wie auch im Erwachsenenalter macht die Träne im Augenwinkel den Mann vor seinen Mitmenschen zur Memme. Schon die Großeltern meinten, dass ein Mann hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder sein müsse. Schließlich sei das Leben auch hart zu ihnen.

Der 1947 in Chemnitz geborene Künstler fand aus eigenem Erleben zum Thema „Männer und Tränen“. Erst während einer Gesprächstherapie wurde ihm bewusst, wie tief er selbst Probleme, auch Tränen, in seinem Leben verdrängt hatte. „Es geht fast immer um Partnerschaft, Unausgesprochenes, um Nicht-Hinschauen-Wollen oder um Konflikte mit den Eltern“, weiß er heute. Doch: Männer weinen nicht oder selten. Das stellte er auch in Frankreich, England, Irland fest. In Indien habe er es anders erlebt. Dort weinen Männer, nicht öffentlich, ihre Mütter und Ehefrauen begleiten diese Emotion.

Auch Gunter Schöne wusste früher nicht, wie Weinen befreien und erleichtern kann, es reinigt, macht den Kopf für klares Denken frei. „Weinen trägt dazu bei, dass wir gesund bleiben, es hilft Stress abzubauen.“

Seit 2004 lebt der Mann mit der „Patchwork“-Vita in Bad Saarow und Berlin. In die Firma seiner Eltern einzusteigen, war nicht sein Ding; dennoch machte er als erstes ein kaufmännische Lehre, später über den zweiten Bildungsweg eine Dekorateurlehrer. Er durfte nicht studieren, fühlte sich reglementiert, stellte also 1985 einen Ausreiseantrag. Drei Jahre als Totengräber folgten, mit Observationen, üblen Repressalien. 1989 dann das Grafikdesignstudium in Hamburg: „In der Ausbildung hatte ich hervorragende Lehrer. Doch jetzt begann ich, alles wie ein Schwamm aufzusaugen…“

Seit Längerem beschäftigt Gunter Schöne sich mit dem „Tränen“-Thema, für das er inzwischen viele sensibilisierte. Im Sommer erst erhielt er für seine „Tränenzelle“ im ehemaligen Gefängnis von Luckau den Kunstpreis der 3. Spektrale des Landkreises Dahme-Spreewald aus den Händen der Kulturministerin Brandenburgs. Im Gegensatz zu Luckau bezieht Schöne in Grimme Interviewnotizen ein. Viele Gespräche hat er geführt, einige davon verdichtet und auf Tafeln anonymisiert festgehalten. Wer sich nicht die Muße zum Lesen nimmt, dem erschließt sich nicht die Gesamtheit des Schöneschen Konzeptes. Begeistert nahm er die Grimmer Ausstellungsräume an, renovierte sie und baute extra eine Halterung, damit die Tränen – „Jede ein Symbol für ein Gespräch“ – weit hinaus vor die Tür reichen. Das Echo der Besucher des Kunsthofes, aber auch die Gespräche mit den Männern bestärken ihn, sich weiter mit den Facetten dieses Themas zu beschäftigen. Zum Beispiel der Part der Frauen. „Wenn sich die Männer ändern

sollen, müssen sich die Frauen ändern“, sagt Gunter Schöne. Schließlich stecken auch sie im Rollenfach. Auch interessiert ihn der Grund des Weinens: von Rührung über Freude bis hin zur Trauer. So sieht er die Präsentation in Grimme als gute Plattform, die er dokumentiert hat und international weiterführen kann. „Verdrängung gibt es überall. Das ist mit so viel psychischer Tiefe verbunden, die sich zu beleuchten lohnt.“ Jetzt denkt Gunter Schöne über neue Tränen-Projekte in Kooperation mit Gedenkstätten für Opfer von Gewalt nach.

Die Ausstellung in Grimme ist bis in den Oktober geöffnet. Besucher bitte anmelden bei Elisabeth von Sartory: 0171 3659711.

Quelle: Prenzlauer Zeitung

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Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Nordkurier.