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30.09.2008

Bagemühl - hier erhielt die NPD 18% der Stimmen

Frust und Neid kommen zusammen

Von Jochen Lange

Bagemühl. Reife Kastanien fallen zu Boden und platzen aus ihren Hüllen. Unter dem Baum stehend muss man aufpassen, nicht getroffen zu werden. Drei Bagemühler, zwei Frauen und ein Mann, harken Blätter, Zweige und Früchte zu kleinen Haufen zusammen. Sie haben keine Arbeit, leben von Hartz VI. Als sogenannte Ein-Euro-Jobber sind sie im 123 Seelen-Dorf eingesetzt.

18 Prozent für die NPD in ihrem Ort bei den Kreistagswahlen bei einer Wahlbeteiligung von 62,2 Prozent? Eine Neuigkeit für die drei. Aber überrascht zeigen sie sich nicht über die Information. „Das war abzusehen und musste so kommen“, sagt Oliver Frank. Er selbst hat dieses Mal nicht gewählt. Die Politiker, egal von welcher Partei, hielten ihre großspurigen Versprechen vor den Wahlen hinterher eh nicht ein. In der Gegend sei einfach nichts mehr. Der Osten ginge unter. Anstatt sich das Geld in die eigene Tasche zu schieben oder in den Westen zu schaffen, sollten die Politiker für Arbeitsplätze sorgen.

„Wenn wir hier nicht zum Fegen kommen, wird uns gleich das Geld gekürzt. Aber für vier Euro in der Stunde arbeiten gehen, das mache ich auch nicht. Das ist alles Lug und Trug“, sagt der 29-Jährige frustriert. Die beiden Frauen nicken zustimmend. Franks Meinung nach seien mittlerweile zu viele Polen im Ort, die sich die günstigen Häuser und Grundstücke kauften. Auch sein Nachbar sei aus Polen. Aber kennen tue er ihn nicht. Der würde ja kein Deutsch sprechen. „Zur Linde“, die einzige Gaststätte in Bagemühl, betreibt seit dem Frühjahr ein Pole. Oliver Frank trinkt dort aber nicht sein Bier. „Zu dem bringe ich doch nicht auch noch mein Geld“, erklärt er.

Das Ergebnis sei nicht schön. Rechts sei das Dorf deswegen aber nicht, sagt der ehemalige Revierpolizist über das Hoftor herüber. Seit 14 Jahren lebt er in Bagemühl. „Die Jugendlichen und Arbeitslosen sind unzufrieden mit ihrer Situation“, versucht er die 36 Stimmen, die im Ort für die Nazis abgegeben wurden, zu erklären.

Einige Häuser weiter schaut ein ehemalige Traktorist aus dem Fenster. Der Rentner, der seit 1965 in Bagemühl lebt, ist überrascht und erschrocken zugleich vom Abschneiden der NPD. Im Gespräch mit Nachbarn und anderen Dorfbewohnern habe er nichts wahrgenommen. „So schlimm, wie die 18 Prozent jetzt aussehen, ist es bei uns nicht. Ganz und gar nicht“, versichert er. Ähnliches ist auch vom amtierenden Ortsteilbürgermeister Wilfried Kumkar von der SPD zu hören. „Ich bin entsetzt von diesem hohen Stimmenanteil der NPD. Bin aber der Meinung, dass die Leute aus Bagemühl, die die Rechten gewählt haben, das zur einen Hälfte aus Enttäuschung und als Denkzettel an uns demokratische Parteien getan haben. Die anderen sind überzeugte Anhänger. “

Im Hinblick auf die polnischen Zuzügler erzählt der Bürgermeister weiter: „Wir haben ein gutes Verhältnis zu unseren Nachbarn. Einige Male schon saßen wir hier zusammen im Garten. Mit viel Enthusiasmus bringen sie die heruntergekommenen Häuser auf Vordermann. Die Frustrierten unter uns sind einfach auch neidisch auf die Polen.“ „Wir alle, vor allem die NPD-Wähler, sollten froh sein, dass die Polen hier sind“, fügt seine Frau Regina hinzu. Dabei zeigt sie auf die Gaststätte. Der neue Pächter tue wenigstens etwas. Zur Wiedereröffnung der Dorfkirche am Wahlsonntag habe er seine Räumlichkeiten für einen Diavortrag zur Verfügung gestellt; außerdem sieben Arbeitsplätze geschaffen.

„Seit der Neueröffnung ist die Gaststätte gut besucht und angenommen von den Dorfbewohnern“, berichten Monika Stoldt und Doreen Kopp, Restaurantfachfrau und Köchin in der „Linde“. Auch die jungen Leuten aus dem Ort würden sich regelmäßig auf Cocktail oder Bier an der Theke treffen, weiß Kopp. „Bei der Renovierung haben viele Bagemühler mitgeholfen. Zur Fertigstellung feierten dann alle zusammen ein Grillfest“, fügt Stoldt hinzu. Die beiden können sich das Wahlergebnis der NPD nicht erklären. Vor nicht allzu langer Zeit, hätte ein Bagemühler seinen Geburtstag in der Gaststätte gefeiert – mit 80 Gästen überwiegend aus dem Ort.

Quelle: Prenzlauer Zeitung

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Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Nordkurier.