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30.09.2008

Bagemühl:

Wo die Rechtsextremen zweitstärkste Kraft sind

Brüssow (ddp-lbg). Zwei Tage nach den brandenburgischen Kommunalwahlen zeugen noch vereinzelt Plakate an den Laternenmasten an der Bagemühler Dorfstraße vom Wahlkampf. Der Wind spielt mit den Resten eines NPD-Plakates, dessen Draht quietschend an einem Laternenmast scheuert.

In dem unmittelbar an der vorpommerschen Grenze liegenden Dorf in der nordwestlichen Uckermark ist die NPD zur zweitstärksten politischen Kraft geworden. 18 Prozent der Menschen haben sich dort für die Rechtsextremen entschieden. Mehr Zuspruch gab es nur für den Bauernverband, der über 30 Prozent der Wählerstimmen erhielt. SPD und CDU müssen sich mit kümmerlichen 11 beziehungsweise 6 Prozent abfinden.

Eine alte Frau, die die Dorfstraße entlangschlurft, kann das Ergebnis gar nicht fassen. «Hier wohnen so viele alte Leute wie ich, die den Krieg noch miterlebt haben. Die werden doch wohl nicht NPD gewählt haben, das kann ich einfach nicht glauben», sagt sie. Die Rentnerin vermutet die Wähler der Rechtsextremen unter einer Handvoll junger Menschen, die meisten von ihnen arbeitslos. «Die trinken wohl auch.» Ihren Namen mag die Frau nicht nennen. «Ich habe Angst vor denen, wenn die mir hier auf den Pelz rücken. Ich bin alt», sagt sie.

Monika Stoldt, Kellnerin in der Gaststätte «Zur Linde», findet ebenfalls deutliche Worte: «Ich bin geschockt und kann gar nicht verstehen, warum die NPD hier so viel Stimmen erhalten hat», sagt sie. Sie wüsste auch gar nicht, wer es gewesen sein könnte. Die jungen Leute würden alle zu ihr in die Kneipe kommen. Und das täten sie wohl nicht, wenn sie rechtsextrem wären, vermutet Stoldt. Denn der Inhaber der Bagemühler Kneipe ist Pole.

Wirt Marian Kazmierczak hatte die seit Jahren geschlossene Dorfkneipe erst zu Jahresbeginn wieder eröffnet und findet mit thematischen Abenden - hier können die Gäste afrikanisch essen und polnisch sowieso - großen Anklang. Demnächst soll es auch einen «Ossi-Abend» geben, mit typischen DDR-Gerichten, wie Soljanka. «Wir hatten auch im Sommer ein großes Fest, zu dem sind bestimmt 80 Prozent der Bagemühler gekommen sind. Die Leute waren begeistert, wir auch», sagt Monika Stoldt. Sie mag gar nicht daran denken, dass das jetzige Wahlergebnis an der Beliebtheit der Kneipe etwas ändern könnte.

Das glaubt der noch amtierende Ortsbürgermeister Wilfried Kumkar (SPD) nicht. «Wir kennen unsere Pappenheimer, die NPD wählen. Das ist eine ganze Clique, die immer zusammenhängt. Junge Männer, die arbeitslos sind, die keine Perspektive haben» - so charakterisiert er die, von denen vermutlich die Kreuze bei den Rechtsextremen stammen. Rund vier Prozent habe die NPD schon immer im Ort gehabt, fügt er hinzu. Dass es jetzt so viel mehr geworden sind, sei ein «Schönheitsfehler». «Die wollten auf sich aufmerksam machen», glaubt Kumkar. Ansonsten sei Bagemühl ein ruhiger Ort, es gebe keine Hakenkreuzschmierereien, und mit NPD-Stickern laufe auch niemand durch die Gegend. Zwar würden sich die jungen Leute bei Dorffesten ordentlich besaufen, dann sei aber wieder Ruhe.

An diesem Tag kurz nach der Wahl ist von denen, die von den Einwohnern für NPD-Wähler gehalten werden, niemand in Bagemühl zu sehen. Lediglich ein junger, unauffällig wirkender Mann hastet über die Straße. Der Versuch, ihn zu befragen, scheitert. Er weist die Frage brüsk und wortlos zurück.

Bagemühl hat 109 wahlberechtigte Einwohner, 74 gingen zur Kommunalwahl, jeder Wähler hatte 3 Stimmen, 36 Stimmen erhielt die NPD, das ergibt mindestens zwölf NPD-Wähler im Ort. Die Erklärungsmuster der Bagemühler reichen aber Anti-Extremismus-Initiativen in der Uckermark nicht aus. Zumal Bagemühl nicht der einzige Ort mit einem hohen NPD-Ergebnis in der Region ist. Im benachbarten Wollin erhielten die Rechtsextremen sogar über 30 Prozent der Stimmen.

«Die Nazis haben in den dünn besiedelten, strukturschwachen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und wenig Kultur- und Bildungsangeboten oftmals ein leichteres Spiel als in den Städten», sagt Wolfgang Pfeiffer vom Kompetenzzentrum gegen Extremismus und Gewalt (KEG), das vor allem in der Uckermark tätig ist. Es stimme zwar, dass die Wähler der NPD nicht automatisch Rechtsextreme seien. Der Wahlerfolg der Nazis zeigt nach Pfeiffers Einschätzung aber, dass die bürgerlichen Parteien sich mit ihren Angeboten auf dem Land zunehmend zurückgezogen haben und für die Bürger oft nicht mehr wahrnehmbar sind.

«Die Menschen fühlen sich von der Politik allein gelassen», meint Pfeiffer aufgrund seiner Erfahrung. Da Politik kein Vakuum kenne, würden die «leeren Räume» von der NPD besetzt. «Dagegen hilft nur, sich aktiv politisch in den ländlichen Regionen einzubringen», sagt der Extremismusexperte. Seine Initiative tue das beispielsweise mit Aufklärungs- und Jugendarbeit.

Unterdessen werden in Bagemühl die Plakate der NPD eingesammelt - bis zur Landtags- und Bundestagswahl in zwölf Monaten.

Quelle: ddp

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Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Nordkurier.