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01.11.2008

Günter Rußack wird 80

Eigentlich wollte er Pilot werden

Von Monika Strehlow

Brüssow. Er gehört zu Brüssow wie der Kirchturm. Wer von dem hochgewachsenen Mann mit dem weißen Haarschopf – im Winter von einer Baskenmütze bedeckt – und der Brille auf der Nase nicht weiß, der kennt Brüssow nicht.

Beinahe täglich ist Günter Rußack auf seinem Gang durch die Stadt anzutreffen. Ständig am Recherchieren für das Amtsblatt und die Heimatzeitung – die Prenzlauer Zeitung beziehungsweise die Pasewalker Zeitung. In Amtsstuben ist er gern gesehen, Geschäftsinhaber geben ihm bereitwillig Auskunft, er fehlt auf keiner Stadtverordneten- oder Amtsausschusssitzung. Als Stadtreporter und Autor des Brüssower Amtsblattes ist der „rasende Reporter“ immer gut informiert über aktuelle Ereignisse in der Stadt und auf den Dörfern des Amtsbereiches.

Als es den gebürtigen Berliner 1946 in die Kleinstadt unweit Stettins verschlägt, hätte er nie geahnt, dass er eines Tages quasi zum Inventar gehören würde. Kinder solle er unterrichten, das erscheint dem 18-Jährigen Neulehrer kein Traumberuf. „Ich wollte fliegen, Pilot werden“, strahlt er mit blauen Augen, scheint um Jahrzehnte jünger zu werden. Er spricht von der Lehre als technischer Zeichner, 1943 bei den Henschel-Flugzeugwerken. 1944 macht er in Königsberg/Neumark (Chojna) die Segelfliegerprüfungen A und B. Im Herbst 1944 – um ihn tobt der Krieg – darf der 16-Jährige im schlesischen Brieg (Brzeg) an der Konstruktion des Strahlenjägers HS 132 mitwirken. Noch immer hegt er Träume…

Aus dem Pflichtjahr beim Reichsarbeitsdienst in den Ostsudeten wird er nach drei Monate nach Berlin entlassen – und sofort als Soldat in ein Ersatzbataillon der Wehrmacht gezogen. Das ist im Februar. Ein Granatwerfereinschlag am 25. April 1945 versetzt ihm tiefe Wunden. „Das war Am Friedrichshain 13, von da habe ich mich nach Hause in die Eldenaer Straße durchgeschlagen.“ Vorbei der Traum vom Fliegen, muss er sich endlich eingestehen. Gelegenheitsarbeiten halten den jungen Mann über Wasser, bis ihn im Januar 1946 ein ehemaliger Klassenkamerad zum Lehrerbildungsinstitut nach Bernau mitnimmt.

Nach neun Monaten ist Günter Rußack Neulehrer, springt an der Brüssower Schule ins kalte Wasser. Heute kann er sagen: „Ich habe den Aufbau und den Untergang des sozialistischen Bildungssystems mitgemacht.“ Nicht nur Stolz, auch Bedauern schwingt da mit. Es ist keine blitzende Karriere, die Günter Rußack hinlegte, aber grundsolide Arbeit mit viel Menschlichkeit. In Brüssow absolviert er beide Lehrerprüfungen, später ein Fernstudium zum Fachlehrer Geografie. Als 1961 an den Oberschulen der Protest gegen den Mauerbau losbricht, sind auch die Brüssower dabei. „Unser Internatsleiter wurde eingesperrt. 13 Lehrer sind versetzt worden. Ich habe zwei Jahre Berufsverbot erhalten“, erinnert sich Günter Rußack und zitiert aus der damaligen Begründung: „Ich habe mich durch das westliche Fernsehen in den Dienst der NATO gestellt und kann kein Lehrer des sozialistischen Staates mehr sein.“ Bei der staatlichen Handelsorganisation (HO) findet er schließlich einen Broterwerb, als Abteilungsleiter für

Organisation und Technik. Es sind keine leichten Jahre für ihn, der längst Pädagoge mit Herz und Verstand ist. „Das Berufsverbot war ein harter Schlag. Ich hing an meinem Beruf. Und zu Hause Frau und zwei Kinder.“ Seine Melitta arbeitet als Verkäuferin, Axel ist acht Jahre, Peer gerade geboren worden. 56 Jahre waren Günter und Melitta Rußack verheiratet.

Als sie am 26. September 2007 ihren 56. Hochzeitstag haben, war sie schon schwer krank. Als sie mit 78 Jahren im April stirbt, reißt das im Herzen des Mannes erneut eine tiefe Wunde. Denn von Axel haben sie sich schon zwei Jahre zuvor verabschieden müssen; der Sohn stirbt nach einem Schlaganfall. „Der Tod gehört zum Leben, das sehe ich realistisch“, sagt Günter Rußack. So vergegenwärtigt er sich die schönen Jahre seiner Ehe, versucht sich nicht entmutigen zu lassen. „15 Jahre durften wir unseren Lebensabend noch gemeinsam genießen.“ So nimmt er intensiver Anteil an seiner Familie, der Entwicklung seines Urenkels. „Dass wir eng zusammenhalten, darin sehe ich den Sinn unseres Lebens.“

Freude empfindet Günter Rußack noch immer daran, dass er jede Woche den Stadtreporter für die Zeitung und einmal im Monat das Amtsblatt schreibt. „Und ich nehme am gesellschaftlichen Leben rege Anteil.“ Nur der Garten wird langsam zu viel für ihn. Das Alter verlangt seinen Tribut. Erneut wird er sich sein Leben neu einrichten müssen. Aber dafür lässt sich Günter Rußack noch Zeit. Will er irgendwann wieder zurück nach Berlin? „Nein, was soll ich da? Zu Besuch ja, aber mehr nicht. Ich bin doch Brüssower.“

Quelle: Prenzlauer Zeizung

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Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Nordkurier.