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21.08.2010

Heike Sawal-Nowotny

Aus der Zeit der Zuckertüten

Von Marina Spreemann

Prenzlau. Lea, 1999 eingeschult, weiß noch genau, wie sie sich zum ersten Mal auf den Schulweg begeben hat. Mit der ganzen Familie, 1,5 Kilometer zu Fuß. Das war anstrengend. Dann traf sie ihre neue Klasse, die Bärenklasse. Die Kinder malten einen Bären aus und durften wieder nach Hause gehen - wo schon Kuchen und eine große Schultüte warteten. Hannah kann sich noch erinnern, dass ihre bunte Zuckertüte so groß und schwer war, dass der Vati das Tragen übernehmen musste. Nur fürs Foto bekam das Mädchen das Riesen-Geschenk in die Hand gedrückt.

Vor über 150 Jahren war das nicht anders: Die Schultüte war für die Kleinen ganz, ganz wichtig. Ein Dresdner erinnerte sich so: "Zu Ostern 1849 trat ich als fünfeinhalbjähriges Kerlchen in die 5. Klasse der 1. Bürgerschule ein und war freudig überrascht, als der Herr Direktor erschien, um große und kleine, mit Namen versehene Zuckertüten an eine Reihe von Kindern zu verteilen. Es fiel mir zwar unlieb auf, dass nicht alle Kinder mit einer Gabe bedacht wurden, und dass diese armen Tröpfchen nur trübselig dreinschauten, doch machte ich mir als Glückspilz über diese ungleiche Güterverteilung keine weiteren Gedanken und ging unter dem Schutze meiner beiden älteren Brüder mit einer großen blauen, schön geblümten Zuckertüte frohlockend nach Hause."

"Zur Schulzeit fallen doch jedem ganz private Geschichten ein, von der Schultüte, den Lieblingslehrern und Mitschülern", sagt Museumspädagogin Heike Sawal-Nowotny. Wie dem Dresdner und den beiden Mädchen, Lea und Hannah, die ihre Erinnerungen im Besucherbuch der Ausstellung "Von Abc-Schülern und Zuckertüten" notiert haben. Die Museummitarbeiterin stellt Besuchern diese Schau vor, die bis zum 31. Oktober im Dominikanerkloster in Prenzlau zu sehen ist. Lothar Binger und Susann Hellemann vom Archiv historische Alltagsfotografie in Berlin, die eine große Sammlung privater Bilder zusammengetragen haben, gestalteten die Schau mit Fotos, biografischen Anekdoten und Schulutensilien. "Wir haben uns überlegt, dass den Schuleintritt ja wirklich jeder als Beginn eines neuen Lebensabschnitts erlebt. Es gibt dazu auch in jedem Familienalbum die obligatorischen Fotos", erzählt Heike Sawal-Nowotny. Deshalb haben die Prenzlauer die Sammlung in die Uckermark geholt, pünktlich zum Schulstart in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern an diesem Wochenende.

Die Reaktionen der Besucher bislang waren für die Museumspädagogin interessant. "Das reicht von, oh Gott, Schule, nie wieder' bis zu ,das war die schönste Zeit'", berichtet sie. Diese emotionale Spanne sehe sie auch auf den Gesichtern der Mädchen und Jungen, deren Fotos an den Klosterwänden hängen. "Die Kinder sind nicht immer glücklich, obwohl ja alle versuchen zu lächeln. In den Augen sieht man aber manchmal Ängstlichkeit", meint Heike Sawal-Nowotny. Die Museumspädagogin hat für die Ausstellung auch in ihren Erinnerungen gekramt. Ihr eigenes Schulzeugnis aus den 1970-er Jahren ist zu sehen. Eine alte Schulbank aus ihrem früheren Wohnort Zwiedorf, die einmal im Zimmer ihrer Kinder stand. Und eine Fotografie, die ihr sehr am Herzen liegt: Sie zeigt ihre Großmutter Agnes, umringt von vielen Schülern. "Meine Oma sollte eine Ausbildung als Theaterschneiderin machen, wollte aber Lehrerin werden. Das hat sie letztlich durchgesetzt und war begeistert von ihrem Beruf, wie später auch meine Eltern", erzählt Heike Sawal-Nowotny. "Wir zeigen zudem Hefte und Klassenbücher aus Prenzlau, um die Schau regional zu ergänzen."

Doch es geht nicht allein darum, Erinnerungen zu wecken. Besucher können auch eine Menge Erkenntnisse zum Thema Schulanfang mitnehmen. "Auch für mich war vieles neu", erzählt Heike Sawal-Nowotny. "Ich wusste zum Beispiel nicht, dass in Westdeutschland die Schultüten fast alle rund waren, während wir im Osten oft vieleckige Tüten trugen." Das sei ihr erst bei Recherchen und Gesprächen aufgefallen. Auch dass die bunten Pappbehälter mit Geschenken wirklich ein typisch deutscher Brauch seien, habe sie überrascht. Die Zuckertüte stamme aus der Region Sachsen, Thüringen, Schlesien und Böhmen. Sie sei dort zum Anfang des 19. Jahrhunderts bekannt geworden. "Die erste Beschreibung von 1817 ist aus Jena bekannt. Damals war noch von einer riesigen Tüte Konfekt die Rede", weiß die Museumsmitarbeiterin. Den Kindern sei in früheren Zeiten gern erzählt worden, dass im Keller oder auf dem Boden des Lehrers ein Schultütenbaum wachse. In Erinnerung an diese Legende steht auch in der Ausstellung ein hölzerner, bunt bemalter Schultüten-(Apfel-)Baum. "Wir haben einen Wettbewerb um die schönste selbstgebastelte Schultüte ausgeschrieben, die uns Familien bis Ende September einreichen können." Das sollen dann auch die "Früchte" des Baumes werden und die drei schönsten Basteleien werden zum Ausstellungsende prämiert. Bei der Füllung der bunten Tüten - oft Gebäck, Backpflaumen, Rosinen und Geld- habe es regionale Unterschiede bis in die 1930er-Jahre gegeben. Häufig seien, wohl auch aus Kostengründen, ganz praktische Dinge wie Schulschürze, Holzschuhe, Griffel in den Tüten zu finden gewesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich viele Schulanfänger mit dem Knüllpapier abfinden müssen, das einen großen Teil der Tüte füllte, weil nicht genug Süßigkeiten aufzutreiben waren. Schokolade und Bonbons habe es später in Hülle und Fülle gegeben. "Inzwischen geht der Trend davon wieder weg. Eltern achten auf gesunden Inhalt, verschenken Obst, kleine Spielzeuge, Bücher", berichtet Heike Sawal-Nowotny. Heute und morgen bietet sie, jeweils ab 14 Uhr, Sonderführungen "Zwischen Festmahl und Kaffeetafel" zum Schulanfang an. Telefonische Anmeldung unter: 03984 752241. Die Ausstellung ist im Prenzlauer Dominikanerkloster bis zum 31. Oktober 2010 zu sehen. Geöffnet ist dienstags bis sonntags, 10 bis 17 Uhr.@!www.dominikaner-kloster-prenzlau.de

Quelle: Uckermark Kurier

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Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Nordkurier.